Kinder und Jugendliche werden zunehmend als Sprachrohr der Eltern ausgenutzt. Ein gerade mal elfjähriges Mädchen wurde während einer „Querdenker“-Demonstration zur Marionette ihrer Eltern gemacht, als sie ihre wegen Corona nur heimlich durchgeführten Geburtstagsfeiern1 mit dem jahrelangen Verstecken von Anne Frank vor den Nazis verglich. Zur Erinnerung: Anne Frank lebte mehrere Jahre mit ihrer Familie in einem winzigen Versteck in einem Hinterhaus in den Niederlanden. Wegen der Verfolgung durch die deutschen Nationalsozialisten durfte sie nicht hinausgehen oder sonst ein Lebenszeichen von sich geben. Als sie entdeckt wurden, brachte man sie ins Konzentrationslager Bergen-Belsen. Dort starb Anne Frank im Alter von 15 Jahren. Wer heute Parallelen dazu zieht, verhöhnt die schrecklichen Erlebnisse der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Jeglicher Vergleich mit den aktuellen Corona-bedingten Einschränkungen ist realitätsfern.
Jugendliche altersgerecht einbinden
Dass das Mädchen von der Demo mit ihren elf Jahren allein auf diesen Vergleich gekommen ist, ist mehr als fraglich. Selbstverständlich dürfen und sollen Kinder und Jugendliche mitbestimmen und ihre Meinung äußern – aber bitte ihre eigene. Eltern sollten dafür sorgen, dass ihre Kinder altersgerechte Orientierung und Informationen zu einem Thema bekommen, um sich zu überlegen, was sie wirklich davon halten.
Sie sollten in allen Anliegen, die sie betreffen, Wünsche und Ideen äußern können und in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden – auch in Bezug auf die Frage, ob sie überhaupt etwas öffentlich sagen möchten oder nicht.
Ebenso dürfen Kinder und Jugendliche nicht für die Anliegen der Erwachsenen missbraucht werden. Ein Kind vorsätzlich einer Gefahr für seine (körperliche) Gesundheit auszusetzen, damit es als Schutzschild vor Wasserwerfern dient (auch das ist im Rahmen der „Querdenken“-Demonstrationen nachweislich vorgekommen), ist ebenso eine Verletzung der elterlichen Sorge wie ein Kind mit absurd falschen Vorstellungen und Vergleichen ausgestattet auf eine Rednerbühne zu schicken.
UN-Kinderrechtskonvention
Ihre Bedürfnisse, Wünsche, Sorgen, Nöte und Ideen sollten ernst genommen und angehört werden. Dies wird auch in der UN-Kinderrechtskonvention, Artikel 12 beschrieben: „Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.”
Wenn man Kinder und Jugendliche wirklich beteiligen will, dann haben wir hier einige bessere (und bereits erfolgreiche) Tipps:
- Einbindung in Gremien und Entscheidungsprozesse wie die Jugendsprecher und die Jugendforen bei der Jugendfeuerwehr
- Kinder- und Jugendparlamente mit pädagogischer Begleitung (zum Beispiel in der Stadt Wiesbaden)
- Jugendliche in Corona-Maßnahmen einbeziehen, zum Beispiel in Schulen und in den Vereinen
- Lernlabor Anne Frank, Point Alpha und andere Bildungsstätten als Erfahrungs- und Lernorte nutzen
Weitere Hintergrundinfos finden sich unter anderem hier:
Warum der Vergleich der aktuellen Corona-Lage mit Anne Frank absolut unpassend ist: https://www.youtube.com/watch?v=0lx6MiLDi4I
Wer sich näher mit Anne Frank und ihrem Leben während des Nationalsozialismus beschäftigen will: Die Bildungsstätte Anne Frank hat unter dem Titel „Anne Frank. Morgen mehr.“ ein interaktives Lernlabor zu Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung in Vergangenheit und Gegenwart auf die Beine gestellt. https://www.bs-anne-frank.de/morgenmehr/
Fußnote:
(1) Ja, richtig gelesen: Es gab gleich mehrere Geburtstagsfeiern, um alle Leute einladen zu können. Allein das ist schon bedenklich: Private Feiern gelten als eine der Hauptursachen für die Verbreitung des Virus.